Der Schützenverein "altes Amt Stickhausen" und die Burg
Die Burg Stickhausen und der heutige Schützenverein „Altes Amt Stickhausen“ sind durch die sogenannte „Deutsche Revolution 1848“ verbunden.
Seit dem Jahr 1844 gab es in ganz Europa Tumulte und Aufstände wegen gestiegener Lebensmittelpreise. Im Jahr 1845 und 1846 kamen schwere Missernten hinzu, die in den darauffolgenden Jahren nicht nur in Deutschland zu explodierenden Lebensmittelpreise und Hungersnöten führten. Das traf auch die Armen in Stickhausen, Verde und Detern: Die kirchliche Armenhilfe in Detern gab von Februar bis April 1846 insgesamt 5850 Portionen Suppe aus. Auch ein Jahr später musste die kirchliche Armenhilfe einspringen, um die Armen der Gemeinde vor dem Verhungern zu retten. Das Geld der kirchlichen Armenhilfe stammte aus der Kirchenkollekte, dem „Klingelbeutel“.
In ganz Europa, von Palermo bis Stockholm, kam zu Plünderungen und Überfällen. Hinzu kam die Unzufriedenheit im aufstrebenden Bürgertum, dass die in den Befreiungskriegen 1813 bis 1815 versprochene und niemals eingelöste Verfassung einforderte.
Deutschland bestand damals aus 36 eigenständigen Staaten. Deren Herrscher – Könige, Fürsten, Großherzöge und Herzöge – setzen gegen die Hungerdemonstrantinnen und -demonstranten Soldaten ein. In Hannover wies König Ernst August am 6. März alle Eingaben einer Bürgerdelegation brüsk zurück und schickte seine Soldaten, die mit der flachen Klinge auf die Bürger einschlugen.
Die Nachrichten von den Hungeraufständen im ganzen Land und den Ereignissen in Hannover, wo aufgebrachte Bürger im März 1848 den Ministern die Fenster einwarfen und Polizisten angriffen, alarmierten auch die königlich hannoversche Amtsverwaltung in der Burg Stickhausen. In ihrem Verantwortungsbereich war es bereits zu nächtlichen Überfällen gekommen, bei denen Lebensmittel gestohlen wurden. Zum Schutz Stickhausens wurde nachts die Klappbrücke über die Jümme hochgezogen.
Besondere Sorge bereitete dem königlich hannoverschen Amtmann Gerdes die Nachricht, dass sich Männer aus den Dörfern Langholt und Burlage, die als besonders „wüst“ galten, auf den Weg nach Stickhausen machen wollten. Die beiden Dörfer unterstanden dem Amt Stickhausen, das unter anderem auch für das Eintreiben der Steuern zuständig war. Wegen der schlechten Ernten und hohen Preise konnten viele Bauern ihre Steuern nicht bezahlen. Die königlich hannoverschen Steuereintreiber blieben hart und zogen die Steuern mit Zwang ein. Empört kündigten die Langholter und Burlager an, gemeinsam mit den Nachbarschaften in einem bewaffneten Zug zum Amtssitz nach Stickhausen zu marschieren.
Ernst August, König von Hannover, hatte nach den Märzunruhen die Errichtung von Schutzwachen (Bürgerwehren) in den Gemeinden seines Königreichs angeordnet, um der Aufstände Herr zu werden. Gemäß dieser königlichen Order wurde in Stickhausen am 4. April 1848 eine solche Bürgerwehr ins Leben gerufen. Die Wehr war mit Piken und Gewehren ausgerüstet und übte in den „Meedlanden“ – dem Land zwischen Burg und Nordgeorgsfehnkanal – und wartete auf die Langholter und Burlager. Diese brachen jedoch ihren Marsch nach Stickhausen aus unbekannten Gründen ab und kamen nie bis zur Jümme.
Die königlich hannoversche Regierung blickte allerdings mit größter Sorge nach Ostfriesland. „Nirgends ist es schlimmer als in Ostfriesland, wovon ich ständig Petitionen bekomme“, so König Ernst August am 24. April. Drei Tage später ließ er verlauten: „Leider ist die Stimmung in Ostfriesland beinah die aller schlechteste im ganzen Land, révolutionaire au possible“.
Die Bürger von Leer waren die ersten in Ostfriesland, die eine Petition an den König einreichten. Darin wurden politischer Gleichberechtigung aller Staatsbürger, Reform des Wahlrechts, Aufhebung der Zensur, öffentliche, mündliche Gerichtsverhandlungen sowie eines deutschen Nationalparlaments gefordert. Im April 1848 forderte der Herausgeber der kurzlebigen Zeitung „Ostfriesische Zeitschwingen“, der Auricher Gymnasiallehrer Franz Wilhelm Miquél, die Errichtung einer allgemeinen Volksbewaffnung durch die Frankfurter Nationalversammlung. Eine geübte Volkswehr stärke nicht nur Gemeinsinn, Freiheits- und Vaterlandsliebe und das Selbstbewusstsein des Einzelnen, sondern sie mache auch, indem „Waffen Waffen entgegengestellt“ würden, jede Reaktion unmöglich, so Miquél.
Das Frankfurter Parlament war im Mai 1848 als erstes gesamtdeutschen Parlament gewählt worden. Zum ersten Mal durfte jeder volljährige, selbstständige männliche Staatsangehörige seine Stimme angeben. Auf der Liste der Forderungen des Volksvertreter standen unter anderem die Abschaffung der Standesvorrechte vor allem des Adels, Steuergleichheit, Presse- und Versammlungsfreiheit. Als deutsche Nationalfarben wurden Schwarz-Rot-Gold beschlossen. Aufgeschreckt durch die radikalen Vorschläge der Frankfurter Volksvertreter befahl König Ernst August den hannoverschen Abgeordneten, das Parlament zu verlassen.
Für sein Königreich ordnete er die Auflösung der erst wenige Wochen zuvor auf seine Anordnung hin aufgestellten Bürgerwehren. Seine Regierung fürchtete, die Bürgerwehren könnten zu den „Demokraten“ überlaufen. Die Stickhauser Bürgerwehr folgte der königlichen Anordnung und löste sich auf. Der Schützenverein „Altes Amt Stickhausen“ betrachtet die Bürgerwehr Stickhausen als seinen Vorläufer.
In Süddeutschland wurden die Aufstände blutig unterdrückt. Es kam zu regelrechten Schlachten zwischen Militär und Aufständischen mit tausenden von Toten. Der König von Preußen schickte mehr als 60.000 Bewaffnete gegen 30.000 Aufständische nach Baden, getreu seinem Motto: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten.“ Mitte 1849 war die Revolution vorbei.
Quellen:
„Die Chronik Detern“, Kulturkreis Jümme, ISBN 978-3-00-050956-8
„Chronik dieser Gemeinde Detern“, Pastor Ahlerich Bünting, unveröffentlicht
- „Die Deutsche Revolution“ von Wilhelm Blos, J.H.W. Dietz Nachf., Berlin/Bonn, ISBN 3-8012-0030-2
- „Die Revolution 1848/1849“, Bundeszentrale für politische Bildung,
https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/revolution-1848-1849/ - „Schlaglichter der deutschen Geschichte“ von Helmut M. Müller, Bundeszentrale für politische Bildung, ISBN 3-89331-064-9
- „Politische Geschichte Ostfrieslands“ von Heinrich Schmidt, Verlag Gerhard Rautenberg, ISBN
- „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ von Golo Mann, S. Fischer, ISBN 978-3-10-047920-4
- Geschichte des Schützenvereins Stickhausen
www.schuetzenverein-stickhausen.de - Lebenserinnerungen der Auguste Gerdes, unveröffentlicht
- diverse Veröffentlichungen der Ostfriesischen Landschaft www.ostfriesischelandschaft.de